Leseprobe
Das letzte Fest des alten Europa: Anna Sacher und ihr Hotel

1893 
Pauline Metternich kauft Kleiderstoffe 
bei Jungmann & Neffe

Der Lebensstil ist exquisit: Man kauft das Fleisch beim Weißhappel, dem besten Fleischhauer Wiens, die Kipferln beim Hofbäcker Uhl, 
den Wein aus dem Hofkeller, die Delikatessen bei Wild oder 
Stiebitz, den Kaviar bei Kattus, den Champagner aus Frankreich, 
die Stoffe bei Jungmann & Neffe, die Kinderkleider bei Bittmann, 
die Gläser bei Lobmeyr, den Schmuck und das Silberzeug bei 
Mayerhofer & Klinkosch oder Rozet & Fischmeister, die Särge bei Maschner & Söhne … Man geht zum Derby, sieht sich beim Corso, wird zum Hofball geladen oder zum Bürgermeisterempfang gebeten. Man bleibt bei Besuchen nur kurz, geht in die Oper, die man schon 
nach dem ersten Akt verlässt, speist im Sacher, dann weiter ins 
angegliederte Separée …
Roman Sandgruber: Traumzeit für Millionäre (2013)

Durch die noch jungen Bäume der Ringstraße glitzerte die Sonne, die Blätter der Platanen leuchteten in lichtem Grün, und das Gezwitscher der Vögel lockte die Schönen und Reichen auf die Straße – zum Flanieren und Einkaufen. Frühling in Wien.

Anna Sacher hatte die schwarze Trauerkleidung abgelegt, der Tod Eduards war nun ein halbes Jahr her, sie spürte, dass sie nach vorne blicken, sich noch besser um das Sacher kümmern musste – sein Werk, das weiterzuführen sie ihm am Totenbett versprochen hatte. Das plötzliche Alleinsein im vergangenen Winter war bitter gewesen. Ihn, den sechzehn Jahre Älteren und um so viele Erfahrungen Reicheren nicht mehr an der Seite zu wissen, das hatte ihr zunächst sehr zugesetzt. Und doch, er war zwar ihr Lehrmeister gewesen, dennoch hatte sie stets das Gefühl gehabt, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als ein Hotel zu führen, eine große Mannschaft von Bediensteten zu leiten und über die komplexen Mechanismen des Wohlbehagens, die ein gutes Hotel ausmachten, zu wachen. Eduard hatte ihr von Anfang an viele Aufgaben übertragen, und sie machte ihre Sache gut. Sie war ein Naturtalent. Nun nahm sie sich vor, die Menükarten im Andenken an ihn weiter mit Eduard Sacher zu unterschreiben.

Schon neulich hatte sie sich bei Wilhelm Jungmann & Neffe ein schwarz-weiß gepunktetes Kleid aus feinstem Leinenbatist machen lassen, nun wollte sie sich noch ein ähnliches Kleid in den Farben der Saison gönnen. Mauve war in Mode, die Farbe von Flieder, wilden Malven und Seidelbast. [...]