Leseprobe
Das letzte Fest des alten Europa: Anna Sacher und ihr Hotel

1888 
Kronprinz Rudolf bittet seinen Kammerlieferanten Eduard Sacher um ein Diner

Es ist passiert, sagte man dort, wenn andre Leute anderswo 
glaubten, es sei wunder was geschehen; das war ein eigenartiges, 
nirgendwo sonst im Deutschen oder einer andern Sprache vor
kommendes Wort, in dessen Hauch Tatsachen und Schicksals-schläge so leicht wurden wie Flaumfedern und Gedanken. 
Ja, es war, trotz vielem, was dagegen spricht, Kakanien vielleicht 
doch ein Land für Genies; und wahrscheinlich ist es daran 
auch zugrunde gegangen.
Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften (1930)

Fogas sauce hollandaise, Boeuf braisé aux légumes. Eduard Sacher blickte auf die sorgfältig von Anna geschriebene Menükarte und verglich sie mit den vor sich stehenden Körben voller Speisen. Der Zander und das Rindfleisch waren vorhanden … auch das Gemüse … Alles vorgekocht und sorgfältig verpackt. Asperge d’Argenteuil sauce vinaigrette …, las er weiter, fand jedoch nur den Spargel, nicht die Vinaigrette, Compotes, Crème glacée, fruits et fromages.

Wo ist der Käse? Er seufzte und schickte einen der beiden Hilfsjungen hinunter zu den Küchen und Vorratskammern. Sie lagen im Souterrain des Hotels: die sogenannte Kalte Küche, wo die Speisen vorbereitet wurden, wo Fische und Hummer in ihren Bassins schwammen, und die Warme Küche mit dem großen holzbefeuerten Herd in der Mitte. Zwischen den beiden Küchen befand sich die Fleischkammer und neben der Kalten Küche die Speisekammer, dahinter der Weinkeller und ein Stockwerk tiefer der Eiskeller, das Holzlager und die Gas- und Wassertanks. Es war eine eigene unterirdische Welt, das Reich des Küchenchefs Felix Possaward. [...]