Leseprobe
Das letzte Fest des alten Europa: Anna Sacher und ihr Hotel
Das fin de siècle der Donaumonarchie wird geradezu
Person in Elisabeth, die sich weigerte, als Kaiserin
zu leben, und sich stattdessen als Feenkönigin fühlte.
Brigitte Hamann: Elisabeth (1998)
Die Kaiserin kam in einer geschlossenen Equipage. Sogar die Vorhänge waren heruntergelassen, als die Kutsche im Sacher-Garten vorfuhr. Knirschend hielt der Wagen auf dem Kies vor dem Eingang, ein Lakai sprang vom Kutschbock und öffnete den Schlag. Es war der 2. Juni, ein schöner Spätnachmittag, die Abende waren bereits lang und die Luft mild. Die Kastanien blühten, und Anna Sacher war flink noch von Tisch zu Tisch gelaufen, um die klebrigen Hüllen der Knospen von den Tischtüchern zu pflücken, während sie gleichzeitig versuchte, ihr Kleid glatt zu streichen und ihrer Frisur den letzten Schliff zu geben. Sie hatte draußen und im kleinen Salon decken lassen, um der Kaiserin die Wahl zu überlassen.
Jetzt war sie wie angewurzelt stehen geblieben, die Kellner blickten verstohlen aus dem Inneren des Restaurants nach draußen, alle wirkten angespannt.
Der Lakai klappte den Tritt aus, zuerst erschien ein Fuß, elegant und schwarz beschuht, dann sah Anna den Rock, und gleich darauf erblickte sie die Kaiserin, die schmale, vornehme Gestalt, das verschleierte Gesicht. Sie setzte jeden Schritt bewusst vor den anderen wie eine Tänzerin beim Auftakt zum Solo. [...]