Leseprobe
Das letzte Fest des alten Europa: Anna Sacher und ihr Hotel
Er war kein Grüßer. Nichts hatte er von jener »gewinnenden« Art,
die ein Volk von Zuschauern über die Verluste beruhigt. Auf jene
unerforschte Gegend, die der Wiener sein Herz nennt, hatte er es
nicht abgesehen. Ein ungestümer Bote aus Altösterreich wollte er
eine kranke Zeit wecken, dass sie nicht ihren Tod verschlafe.
Karl Kraus: Die Fackel (Sommer 1914)
Graf Rudolf Kinsky und Nikolaus von Szemere liefen aufgeregt durch die Räume des Sacher. Sie hatten die Qual der Wahl, wollten zwischen intimen Separees und eleganten Speisesälen den idealen Ort für ihre Mission finden. Für den Abend, es war ein Dienstag, hatte sich Erzherzog Franz Ferdinand angesagt. Man wollte entre nous bleiben, und doch sollte alles einzigartig wirken, schließlich handelte es sich um den künftigen Kaiser von Österreich.
Die Kiebitzeier in Madeirasoße, Frau Sacher, die dürfen auf keinen Fall fehlen.
Mais oui, ils sont essentiels. Freudig stimmte Szemere seinem Freund zu und setzte dann, gewichtig die Stirn runzelnd, hinzu: Ils font donc de nous des connaisseurs intimes de son Excellence. Die Wahl der Sprache unterstrich, dass er einst als Gesandter in diplomatischen Diensten gestanden hatte, wo immer noch ausnahmslos Französisch gesprochen wurde.
Wenn das den Abend rettet? Anna blickte missmutig. Und Herr Graf wissen, wo ich so schnell welche herbekomme? [...]